Montag, 7. November 2011

You can see view

Wir sind in: Pokhara
Wir gehen nach: Annapurna Concervation Area
Wir vermissen: Wärme


Es gibt für einen Mann durchaus schlimmeres, als in Pokhara shoppen zu gehen. Pierre hat jedenfalls acht Stunden durchgehalten. In dieser Zeit haben wir uns mit Handschuhen, Schlafsäcken, Trekkinghosen, Wandersocken, Windjacken, Kopftüchern, 3 Rollen WC-Papier, Kraftriegeln und (wie wir später herausfinden) gefälschter Toblerone eingedeckt.

Am Tag darauf brechen wir früh auf, um Behi Sahar gegen Mittag zu erreichen. Von da aus gehen wir zu Fuss, während die meisten anderen einen weiteren Bus bis Bhulebhule nehmen. Unser Entscheid erweist sich als nicht ganz falsch, als wir die Deutschen vom ersten Bus in Bhulebuhle wieder treffen. Wir schauen alle auf die Uhr. Und immerhin sind die Deutschen in der Zeit voraus. Ganz offensichtlich haben wir in einer vollen Woche Nepal nie bemerkt, dass unsere Uhren eine Viertelstunde nachgehen. Immerhin haben wir alle Busse erwischt, obwohl sich die Nepali mit einer eigenen Zeitzone von den Indern zu unterscheiden versuchen (was ihnen aber auch so ganz gut gelingt).



Dass die Zeit relativ ist, darauf verwiest auch das erste Schild auf unserem Wanderweg: MANANG. Wir schauen auf der Karte nach. Unserer Schätzung zufolge werden wir Manang schon in sechs bis sieben Wandertagen erreichen.

Die erste Nacht verbringen wir im wunderschön gelegenen Ngadi Bazaar. Anlässlich von Diwali, Nepals Fest der Familie, wurde am Dorfeingang für die Kinder eine Schauckel gebaut. Die Kinder begrüssen uns mit "Namaste Tschigilit" (Grüezi Schokolade) oder "Namaste Skupeen" (Grüezi Schulstift). An den drei Tagen darauf wandern wir jeweils während sechs Stunden durch Reisfelder, Urwälder, vorbei an Bauerndörfchen und Wasserfällen mit bis zu 200 Meter Gefäll.

Die vierte Nacht verbringen wir in einem verlassenen Ort, der wegen 2000 Meter Felswand zu beiden Seiten nur wenige Sonnenstunden sieht. Wir befinden uns selbst bereits auf 2800 M.ü.M. und der Wind pfeifft durch die Ritzen unseres Häuschens. Brrr. Die Dusche (ein Kessel heisses Wasser in einem Holzhäuschen am Wegrand) und die gemütliche Runde im geheizten Eszimmer machen den Abend aber angenehm: Wir lernen Eric kennen, einen 25-jährigen Profikletterer, der in Tibet gerade einen 8000er bestiegen hat (und es nicht noch einmal tun würde). Sandra und Wolfgang aus Österreich sind wie wir "arbeitslos" und noch bis nach Weihnachten unterwegs.


Am fünften Tag ändert sich die Landschaft dramatisch. Auf 3000 M.ü.M. spaziert man noch durch Nadelbaumwälder, sieht aber schon die ersten von Gletschern bearbeiteten Felsmauern. Ein Hotel in Upper Pisang wirbt mit "YOU CAN SEE VIEW" (du kannst Aussicht sehen). Gemeint ist, glaube ich, die umwerfende Aussicht auf den zweithöchten Gipfel der Annapurnakette, Annapurna II.



Die allerbeste Aussicht haben wir aber in Ngawal, auf 3765 M.ü.M. Die ganzen anderen Wanderer essen hier nur zu mittag. Viele von ihnen kennen wir schon von einer der früheren Nächte. Dank dem Tipp von Pierres Vater sind wir aber die einzigen, die auch den Sonnenuntergang von Ngawal geniessen: Wir machen unsere Wäsche, gemeinsam mit den Nepalis, am eiskalten Fluss mit Blick auf Annapurna II, III und IV.


In Manang erleiden wir fast einen Kulturschock. Nebst Internet, Cappuccinos und Yak Steaks, gibt es hier sogar ein Kino! Abends zieht draussen in der eisigen Kälte eine Band von Haus zu Haus und spielt grässliche Lieder. Die sollen lieber wieder die Kinder Diwali-Lieder singen lassen.

Die Gratisvorlesung eines Arztes über AMS (akute Höhenkrankheit) ist aufschlussreich und wir lassen sogar unseren Sauerstoff und den Puls messen. Beruhigt bin ich trotzdem nicht und der arme Pierre muss mein Gehibbel noch 4 Tage aushalten... Inzwischen aklimatisieren wir uns an einem Berg nahe von Manang. Weil wir keine Lust haben, den gleichen Weg zurückzugehen, suchen wir uns ein Rehweglein durch den Wald direkt zum Gangapurnagletscher. Dort wird gepicknickt.


In Yak Karka ist das Essen formidabel. Wir spühren die Höhe (4050 M.ü.M.) inzwischen ganz schön stark und verbringen den Nachmittag im Schlafsack. Am nächsten Morgen komme ich dann kaum noch vom Fleck. Für ein paar Kilometer und 500 Höhenmeter brauchen wir fast 4 Stunden. Der Nachmittag und Abend in Thorung Phedi wird noch unbequemer, denn draussen sind es noch -7° und ein paar Schneeflöckchen versperren die Sicht. Immerhin haben wir literweise "Hot Lemon" und das letzte Doppelzimmer mit Lehmwänden und Holztüre bekommen... Dank Diamox schlafe ich so ganz gut, obwohl man da oben bei jedem Umdrehen im Schlafsack sofort ausser Atem gerät.


Nach Sonnenaufgang setzen wir Fuss vor Fuss auf den Berg vor uns, doch machen wir alle 10 Meter Pause. Pierre trägt nicht nur sein, sondern auch fast mein ganzes Gepäck. Die Landschaft ist dünig, karg und teilweise liegt Schnee - "e chauti Wüeschti", wie ein kleiner Bub auf dem Lötschenpass mal treffend bemerkte. Als wir gegen Mittag den 5416 Meter hohen Thorung Pass und damit den absoluten Höhepunkt unserer Reise erreichen, kann Pierre plötzlich nachvollziehen, warum die Fussballer weinen, wenn sie die Weltmeisterschaft gewinnen.


Weil Pierre schreckliche Kopfschmerzen hat und seine Lippen schon blau anlaufen, machen wir uns ganz schnell, mit einem frischen Liter "Hot Lemon" auf den Abstieg. 1600 Höhenmeter bergab, das geht deftig in die Beine. Immerhin fühlen wir uns in Mukthinat auf 3800 M.ü.M. wieder wie im Tal, was wir umgeben von 6000ern genau genommen auch sind. Der Pilgerort ist für Buddhisten und Hinduisten gleichermassen wichtig und deshalb mit tausend Fähnchen und Tempeln geschmückt. Dafür sehen wir schon nach 11 Tagen auch das erste Auto.


Bis Jomson gehen wir dann am Folgetag noch zu Fuss weiter. Heute sehen wir zum ersten Mal einen 8000er, den Daulaghiri. Ausgeschlafen steigen wir dann in einen Bus. Ja, einen stinknormalen Bus. Weil mir die Fahrt auf der Sumpfstrasse am ungeschützten Abgrund irgendwann zu bunt wird, steigen wir aus und laufen den Rest bis Tatopani. Laufen ist nicht untertrieben, wir profitieren noch vom Höhenturbo. Unsere Beinchen entspannen wir dann aber gerne in den heissen Quellen von Tatopani, zumal das Wetter zum ersten Mal nieslig ist.

Die Busfahrt von Tatopani über Beni bis Pokhara ist der blanke Horror. Liebe Eltern, bitte studiert jetzt nicht die Unfallstatistik von Nepal, denn wir sind ja gottseidank gesund angekommen. Oder zumindest nur mit einem Käferchen im Bauch.

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