Freitag, 4. November 2011

Wunderbar und Wunderbus


Der Individuelverkehr besteht hier aus zwei Füssen oder zwei Rädern, wobei beim Radfahren keiner und beim Töff nur der Lenker einen Helm trägt. Alle anderen Verkehrsteilnehmer sitzen in oder auf einem Bus, einem Traktor oder Lastwagen.

Die Busse sind sehr langsam unterwegs, was nicht nur an den von Erdrütschen überlagerten Strassen liegt, welche ohnehin schon über hundert Berge und über/durch tausend Flüsse führen. Hautsächlich liegt es an den Stops:
- ganz normale Stops, wenn jemand zu- oder aussteigen möchte,
- Pit Stops, wenn aus irgendeinem Häuschen ein Kanister Benzin hervorgezaubert oder Kühlwasser nachgefüllt wird,
- Piss Stops, wenn alle Businsassen hinter den nächsten Busch hechten, um sich zu entleeren und
- Lunch Stops, wenn das zweite bzw. das zweitletzte Dal Bath des Tages ansteht.

Dal Bath ist die eierlegende Wollmilchsau der nepalesischen Küche und ein echter Nepali isst es mindestens zweimal am Tag. Es besteht aus einem Teller Reis mit Linsensuppe, Kartoffeln, grünem Gemüse, Pickels und Chilischoten. Es ist in weniger als 2 Minuten servierfertig und damit optimales "Fast Food" und es gilt die "All You Can Eat"-Regel, d.h. man bekommt so oft und so viel man kann.

Die Busstops werden vom "Wingman" (auch Copilot oder Türsteher genannt) des Buschauffeurs geregelt. Klopf bedeutet Anhalten, klopfklopf bedeutet Weiterfahren. Der Wingman hängt meistens wie ein Flügelchen zur Bustür hinaus und dient dem Fahrer bei kritischen Stellen als Seitenspiegel (klopf / klopfklopf), er kassiert das Geld der Zugestiegenen, schmeisst Schwarzfahrer raus, packt das Gepäck aufs Dach und regelt bei Stau den Verkehr.

Der Fahrer ist also nur für Hupe, Blinker, Steuerrad und Pedale zuständig. Die Hupe wird grundsätzlich nur als Gruss oder als Warnung vor einem Überholmanöver eingesetzt (wer wissen möchte, wie so eine Hupe klingt: lege einfach deine Zunge zwischen die Lippen und bewege sie schnell von Mundwinkel zu Mundwinkel hin und her, dazu produzierst du auf- und absteigende Töne). Der Blinker hat auch eine andere Funktion als in Europa: Er zeigt nicht etwa die Richtung an, in die man fahren wird, sondern die Richtung, in der der Hintermann überholen soll. Rechts zu blinken, bedeutet also "überhole mich rechts". Nicht zu blinken, bedeutet "überhole NICHT".

Läuft ausnahmsweise keine Musik über die Lautsprecher, übernimmt dies das Handy eines Businsassen. Idealerweise so laut, dass auch der Schwerhörige in der letzten Reihe noch in den Genuss des quäkenden Singsangs kommt. Die beliebtesten Plätze im Bus sind aber jene ganz vorne im mit Sitzkissen ausgestatteten und bunten Zözzelchen dekorierten Führerkabinchen. Aber auch die Plätze auf dem Dach. Denn dank der natürlichen Belüftung wird man da wohl weniger schnell seekrank.

Gegen die Langeweile gönnt man sich eine kleine Packung Chips, die hier ehrlicherweise mit dem Label "Time Pass" (Zeitvertreib) gekennzeichnet sind. Es bietet sich aber auch an, eine billigere Packung Nudelsuppe zu zer- und danach trocken zu verdrücken, während draussen am Fenster verschiedene Klimazonen vorbeiziehen und wandelnde Heuballen überholt werden.

Die Heuballen werden meistens von Frauen gestämmt, die nicht grösser oder schwerer als ein zehnjähriges europäisches Mädchen sind. Hier ackern also nicht nur Kühe und Männer. Dafür chodern und spucken die Frauen auch wie die Bauarbeiter.

Egal wie lange eine Busfahrt dauert, egal wie schwer beladen man sich Meter für Meter seinem Ziel nähert, nie erkennt man ein Zeichen von Unmut in den Gesichtern der Leute. Zäh sind sie also, die Nepalis.
Aber nicht nur das: Nach den freundlichkeitsabstinenten Indern, scheint jeder einzelne Nepali ein kleiner Botschafter des Nepal Tourism Year 2011 zu sein. Die Herzlichkeit zeigt sich aber nicht nur gegenüber Touristen. Als Aussenstehender überkommt einen immer wieder das Gefühl, dass die sich alle schon seit Jahren kennen. Begrüssung, Berührung und Gespräch vermissen distanzierte eurpäische Höflichkeit, viel mehr scheinen sie freundschaftlicher Natur. So schön.

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