Sonntag, 9. Oktober 2011

Intermezzo: Indische Eigenarten

Der Tag startet hier noch vor Sonnenaufgang. Wissen tu ich es nicht, aber ich schätze, dass die Frauen hier noch länger im Bad brauchen als ich. Sie wickeln sich nicht nur in ihre Saris, sie müssen auch ihre meterlangen Haare bürsten und zu hübschen Knoten oder Zöpfen binden, den Schmuck überstreifen und ihre Kinder schminken. 
Ja, richtig gelesen: die meisten Kleinkinder, Mädchen wie Jungen, tragen Kajal um die Augen und ganz kurze Haare. Die jungen Frauen färben ihre Hände, die älteren Herren wiederum ihre ergrauten Haare mit rotem Henna.

Zwischen dem Werken und Handeln stärken sich die Männer mit einem süssen Masala Chaya (Gewürztee). Aber auch während der Arbeit bleibt stets genug Zeit, vor einem laut schallenden Hindutempel zu beten oder auch für ausführliche Inspektionen vorbeitrabender Touristen. Kuckt einer zurück, ist das die Einladung zum Interview mit der einleitenden Frage: "Where you from?"

Oft fotografiert man die Touris "heimlich" mit dem Handy. Oder man stellt sich gleich neben sie und lässt sich zusammen verewigen. Barfüssige Kinder spielen derweil auf der Strasse. Aber auch sie lassen sich gerne ablichten. Für alle gilt: bloss nicht lachen, wenn man fotografiert wird.


Schlägt der "Clocktower" zwei, findet alsbald das Mittagessen statt. Die besseren indischen Restaurants servieren meist nur vegetarisches Essen. Je teurer das Restaurant, desto weniger Fenster hat es. Das liegt wohl daran, dass der Strom für die Klimaanlagen ziemlich teuer ist und dass sich auch die Inder bustäblich für ein Stündchen aus dem Staub machen und die Ruhe in Schummerlicht geniessen wollen. Zusammen mit der Rechnung werden "Mouth Freshener" aufgetischt: kleine Schälchen mit Fenchelsamen und Zucker.  
   
Ist das Geld knapp oder ruft die Arbeit schon nach zehn Minuten wieder, holt man sich auf der Strasse ein Samosa; vielleicht auch ein paar aus Getreiden, Gewürzen und Zuckersirup bestehende Süssgkeiten. Vorher werden die Hände und das Gesicht an öffentlichen Wasserstellen vom Schmutz der Strasse befreit. 
Umgeben ist man beim Essen nicht nur von den hier zu erwartenden Kühen und Hunden, sondern auch von frei herumstreunenden Schweinen und Ziegen. Die Strassenhunde sind (im Gegensatz zu den Rikshaw- und Shopbesitzern) sehr unaufdringlich, und trotz des geschäftigen Treibens der Menschen und den ohrenbetäubenden Hupen der Motos, nahezu lethargisch. Ein Hund ist vom anderen nicht zu unterscheiden; sie scheinen alle von den gleichen Eltern abzustammen. Bellen ist out, wie mir scheint. Nur wenn die Muezzins bei Sonnenuntergang ihre Gebetstöne aneinander reiben lassen, jault manchmal einer mit. 

Die Erwachsenen kommen sich meist erst nach den Europäern zum Abendessen, während sich die Kinder im Primarschulalter die Zeit mit Raketen und Streichhölzern vertreiben. Ab 10 Uhr kehrt Ruhe ein. Die Touristen bleiben aber noch ein Weilchen auf der einen oder anderen Dachterasse sitzen.

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